
Das neue Landesmobilitätsgesetz – ein Gewinn für den Radverkehr?
Das neue Landesmobilitätsgesetz in Baden-Württemberg bietet Chancen für Kommunen und Landkreise, den Radverkehr voranzubringen. Hier finden Sie die wichtigsten Hintergründe, Paragraphen sowie Handlungsmöglichkeiten für Kommunen und Landkreise.
Ein steiniger Weg zum Kompromiss
Die aktuelle Landesregierung hat mit dem Landeskonzept Mobilität und Klima konkrete Eckpunkte für notwendige Veränderungen im Verkehr vorgelegt, um die Klimaziele einzuhalten. Der Radverkehrsanteil bis 2030 soll beispielsweise von 10% auf 20% gesteigert werden. Um diese Ziele zu erreichen, brachte das Verkehrsministerium im Sommer 2024 ein neues Gesetz auf den Weg. Es gab viel Kritik, sodass die Gesetzesvorlage bis zur Verabschiedung im März 2025 deutlich abgespeckt wurde. Die Kritik zeigt, dass Ausgaben im Bereich nachhaltiger Mobilität abseits des Autos weiterhin als vernachlässigbarer Luxus betrachtet werden und nicht an den Ausgaben für den Kfz-Verkehr gemessen werden. Die Verkehrswende wurde in Baden-Württemberg in den letzten Jahren zwar zum Regierungsprojekt, doch sie steht aktuell zunehmend unter Druck. Herausgekommen ist nun ein Kompromiss, der vor allem eines braucht: Eigeninitiative der Verwaltungen und politischen Willen vor Ort. Trotzdem: Der ADFC BW begrüßt, dass mit dem neuen Gesetz auf Landesebene die Umsetzung der Verkehrswende zumindest ein Stück mehr möglich wird. Es stellt für engagierte Landkreise und Kommunen eine Möglichkeit dar, wichtige Stellschrauben in Richtung nachhaltiger Mobilität zu setzen und den Radverkehr voranzubringen.
Für den Radverkehr ist die größte Neuerung, die Möglichkeit für Landkreise, vom Land finanzierte Radkoordinator*innen einzustellen. Entgegen des ersten Gesetzesentwurf sind diese nicht verpflichtend für die Kreise, sondern freiwillig. Außerdem wird im Gesetz im Sinne der Verkehrssicherheit verankert, dass Baulastträger immer den Fuß- und Radverkehr berücksichtigen sollen. Ebenfalls positiv für den Radverkehr zu werten, ist der Vorstoß, das Parkraummanagement durch digitale Instrumente zu vereinfachen und dadurch konsequenter Verstöße ahnden zu können. Das Gesetz fördert außerdem die Erhebung und Nutzung von Mobilitätsdaten. Die Einführung eines sogenannten Mobilitätspasses gibt den Kommunen einen größeren Handlungsspielraum zur Finanzierung des ÖPNV und kann insgesamt den Umweltverbund stärken.
Der ADFC Baden-Württemberg hat sich deutlich mehr von dem neuen Gesetz erhofft, denn das Gesetz wäre eine tolle Chance gewesen für langfristige Veränderungen im Verkehr - auch, aber nicht nur zugunsten des Radverkehrs.
Das neue Gesetz unter der Lupe:
In Paragraph §3 wird unter „Besondere Ziele“ festgehalten, dass „aus Gründen der Verkehrssicherheit“ die Träger der Straßenbaulast bei Planungen von Fuß- und Radverkehr drei Dinge beachten sollen.
- Die Infrastruktur soll bedarfsgerecht dimensioniert werden.
- Bei hohen Verkehrsmengen und unverminderter Geschwindigkeit sollen gemeinsame Führungen von Rad- und Kfz-Verkehr vermieden werden.
- Innerorts soll das gemeinsame Führen von Rad- und Fußverkehr vermieden werden.
Mit dieser Formulierung können Radinfrastrukturmaßnahmen vor Ort leichter umgesetzt werden, da es nun eine klare gesetzliche Zielformulierung dafür gibt. Was genau „bedarfsgerecht“ und „hohe Verkehrsmengen“ bedeutet, geht aus dem Gesetz nicht hervor. Hier kann unter Umständen die in Paragraph §11 beschriebene Unterstützung des Landes bei der Erhebung von Mobilitätsdaten zu Hilfe genommen werden.
Zusätzlich wird als besonderes Ziel gefasst, dass „die Teilnahme am Straßenverkehr für alle Menschen, auch mit den Verkehrsmitteln des Umweltverbunds, verkehrssicher ermöglicht werden soll“. Mit Verweis auf die Vision Zero wird angeordnet, dass nach jedem Unfall mit Verkehrstoten an einem „verkehrlichen Knotenpunkt oder einer Unfallhäufungsstelle“ die Straßenverkehrsbehörde prüfen soll, ob es Maßnahmen gibt, um weitere Unfälle zu vermeiden.
Paragraph §5 regelt den Einsatz von Koordinator*innen der Radverkehrsnetze auf Kreisebene. Jeder Stadt- und Landkreis in Baden-Württemberg soll eine entsprechende Stelle einrichten, um das Radverkehrsnetz voranzubringen. Die Aufgabe der Koordinator*innen ist insbesondere die Unterstützung der Kommunen bei Planung, Ausbau und Erhaltung der in der Baulast der Gemeinden liegenden Abschnitte der Radverkehrsnetze. Da die Einrichtung dieser Stelle nicht verpflichtend für die Kreise ist, lohnt es sich, als Kommune den Bedarf an dieser Unterstützung beim Landratsamt zu melden. Die Kosten der Stelle werden vom Land erstattet und ergeben keine Mehrkosten vor Ort. Radverkehrsmaßnahmen sind zwar eine freiwillige Leistung von Kommunen, sie fördern jedoch Lärmschutzmaßnahmen, Gesundheitsvorsorge, Klimaschutz und die Verkehrssicherheit von allen. Es lohnt sich, diese Chance zu nutzen!
In Paragraph §11 wird ein „interoperables, öffentlich zugängliches informationstechnisches System zur kostenlosen Zurverfügungstellung von Mobilitätsdaten“ seitens des Landes beschrieben. Dies schafft eine einfache Möglichkeit für Verwaltungen mit Mobilitätsdaten zu arbeiten und die Basis für notwendige Infrastrukturmaßnahmen zu bekommen.
Des Weiteren ist in Paragraph §13 die digitale Datenverarbeitung zum Zwecke eines effektiven Parkraumanagements beschrieben. Über die Eingabe des Kennzeichens bei dem Erwerb eines Parktickets können mobile Scan-Fahrzeuge – in dafür kenntlich gemachten Bereichen – die Parkberechtigung schnell und einfach über Bildaufnahmen überprüfen. Während die meisten genannten Anwendungen vor allem leichter überprüfbar machen, wer auf einer Parkfläche steht, ist aus ADFC-Sicht vor allem die mögliche Dokumentation und Ahnung von Falschparkern auf Geh- und Radwegen von Bedeutung – d.h. das Wo des Parkens. Für das Verfahren sind im Gesetz hohe Datenschutzregeln (die sofortige Unkenntlichkeit von Personen, Verschlüsselung von Kennzeichen, Löschung nach spätestens 24h) festgeschrieben. Unter anderem, weil die Bereiche, in denen dieses Verfahren angewandt werden darf, kenntlich gemacht werden müssen, sollte darauf geachtet werden, dass das System auch für das sicherheitsrelevante Ahnden von Falschparkern genutzt wird und nicht nur zur Einnahmeverbesserung bei Parkzeitüberschreitungen etc. Besonders das Falschparken auf Rad- und Gehwege (auch außerhalb dieser Kennzeichnungen) sollte konsequent geahndet werden.
Welche Möglichkeiten haben Kommunen und Landkreise?
Konkret können mit den Stellen der Koordinator*innen der Radverkehrsnetze die Landratsämter finanziell und personell entlastet werden. Radverkehrsbeauftragte, die bereits über befristete Förderstellen beschäftigt sind, könnten so beispielsweise langfristig beschäftigt werden. Außerdem kann diese Stelle als zentrale Anlaufstelle im Landkreis für alle Fahrradthemen fungieren: Die überörtliche Zusammenarbeit hinsichtlich des Ausbaus von Radnetz und Radschnellwegen, Hilfe zur Beantragung von Fördermitteln zur Umsetzung von kommunalen Radverkehrskonzepten, aber auch die Förderung von aktiver Schulmobilität durch die Organisation von Aktionstagen. Ebenso kann die Beratung und Vernetzung von Unternehmen hin zur Fahrradfreundlichkeit und damit Gesundheitsvorsorge sowie Bewerbung von Aktionen wie dem Stadtradeln oder des Fahrradklimatests über diese Stelle gebündelt werden. Die Stelle dient als erster Ansprechpartner*in beim Thema Fahrrad im Kreis und ist in der Lage, Akteure zusammenzubringen, Aktionen zu fördern und die Kommunalverwaltungen zu unterstützen. Dies schafft einfache und klare Zuständigkeiten im Landkreis. Wichtig ist hier eine gute Vernetzung des Landratsamtes mit den einzelnen Verwaltungen der Kommunen sowie engagierten Bürger*innen, Schulen, Unternehmen und Vereinen. Die Person sollte ein Bindeglied von Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft bilden und das Thema Radverkehr fernab von Parteipolitik als Thema der Gesundheitsvorsorge, Klimaanpassung, Teilhabe und Sicherheit ganzheitlich bearbeiten.
Die neue Radkoordinationsstelle muss – wenn sie in dieser Art noch nicht bereits vorhanden ist – vom Kreistag beschlossen werden. In Anbetracht der aktuellen Haushaltslage ist hier nicht nur zu betonen, dass die Personalkosten vom Land gedeckt werden, sondern dass Radfahren auch vor Ort Geld spart: Denn es senkt Gesundheitskosten und Unfallkosten sowie Staus und Infrastrukturschäden. Die Förderung des Radverkehrs ist ein überparteiliches Thema! Menschen aus allen Schichten und politischen Hintergründen fahren Fahrrad.
Als Kommune: Erläutern Sie Ihrem Landrat oder Landrätin (oder Dezernent*in / Amtsleiter*in im Mobilitätsbereich) Ihren Bedarf für die Planung und Umsetzung von Radinfrastrukturmaßnahmen. Fragen Sie nach, ob der Landkreis über eine Einführung des Mobilitätspasses nachdenkt sowie über die neuen Möglichkeiten im Parkraummanagement. Erstellen Sie eine Liste mit Themen, die sich bei Ihnen unbearbeitet auf dem Schreibtisch stapeln und von der Radkoordinationsstelle übernommen werden könnten (z.B. nach passenden Förderungen für Umsetzungsmaßnahmen des Radverkehrskonzepts suchen, Mängel an der Radinfrastruktur erfassen und sanieren, Verkehrschaos vor Schulen etc.). Für den Fall, dass keine Radkoordinationsstelle eingerichtet wird, wenden Sie dich an die Kreiskoordination für Mobilität und Klimaschutz. Diese Stelle wurde mit dem Klimaschutzgesetz verpflichtend für alle Landkreise eingerichtet.